Verbales Abrüsten

Derzeit geistern einige Beiträge durch die sozialen Netzwerke, in denen die „Ungeimpften, die Impfverweigerer und Unsolidarischen“ als Vollidioten beschimpft werden. Da mich dieser Artikel nicht anspricht, werde ich ihn auch nicht besprechen, sehe ihn aber als gutes Beispiel für das genaue Gegenteil von dem, was ich immer wieder fordere: Das verbale Abrüsten.

Seit über 20 Monaten befinden wir uns in einer Medienpandemie, in der sich besonders die Online-Magazine im Kampf um Klicks jedes Mal mit neuen Superlativen zu übertrumpfen versuchen. Aktuelles Beispiel das sinnentstellte Zitat von Dr. Montgomery, welches implizieren soll, dass die neue Omicron-Variante aus Südafrika eine Gefährlichkeit von Ebola haben könnte. Das hat er so nicht gesagt, aber wenn der Geist einmal aus der Flasche ist, lässt er sich schwer wieder einfangen.

Das ist nur der letzte Punkt in einer Reihe von Entgleisungen, die sich an der Partyszene, den Kindern, Rodlern, Weihnachtsmarktgängern und aktuell den unsolidarischen Ungeimpften (es lebe die Alliteration!) abarbeiten. Ein eigenes, kritisches hinterfragen der persönlichen Position nehmen nur vereinzelte Journalisten vor, wie bspw. der öffentlich-rechtliche Georg Restle, welcher es sogar wagte, sich dem heiligen Karl Lauterbach, der professionellen Panik-Sirene der SPD, kritisch entgegenzustellen. Der Tenor unter seinem Tweet: Zwischen Fassungslosigkeit und offener Kritik, wie er es wagen kann, zu hinterfragen.

Gleiches wird Wissenschaftlern wie Hendrick Streeck oder Klaus Stöhr entgegengebracht, wenn sie zu Besonnenheit raten und versuchen, im aktuellen Irrsinn mit einem Streichholz Licht in die Dunkelheit der Irrationalen zu bringen. Besonders Kollege Streeck sah sich in den letzten Monaten der einen oder anderen diffamierenden Kampagne ausgesetzt, die sogar nicht einmal davor zurückschreckte, seinen Großvater und ihn in eine gemeinsame Nazi-Linie zu stellen.

Der Mensch ist einfach gestrickt und sucht vermeintlich einfache Antworten, die wir aber bis heute einfach nicht wissen. Da wird von „vermeintlich“ oder „vermutlich“ fabuliert, beim Rezipienten kommen diese kleinen, sprachlichen Unterschiede jedoch nicht an. Jeder Versuch einer vernünftigen Auseinandersetzung mit der größten gesundheitlichen Krise der Neuzeit verkümmert im Neonlicht von Katastrophen-Schlagzeilen und allgemeiner Verunsicherung.

Besonders stark zeigt sich dies, das ist nun einmal die Natur dieser Medien, in den Sozialen Netzwerken. Auf jeden „Bill Gates versucht uns alle zu chippen!“ gibt es mindestens einen, wenn nicht sogar doppelt so viele mit roten Punkten verzierte Accounts, welche für Kinder und Jugendliche Schreckensszenarien ausmalen, die durch eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus entstehen könnten. Für jedes quergedachte auslegen einer Studie und Statistik werden selbst 0,01%-Punkte als absolute Wahrheit dargestellt – „Es könnte auch dein Kind sein!“.

Der tragische Mord an einem Tankstellenmitarbeiter durch einen vermeintlichen Maskengegner, von Psychologen bereits als „so kann das nicht gewesen sein“ ausreichend besprochen, inspirierte Kleingeister, den Hashtag #QuerdenkerSindTerroristen zu lancieren und jedem, der das medial angeheizte Narrativ anzweifelt, als Kollektivschuld unter die Nase zu schieben. Dabei verhärtet sich der Ton bei gerade den vermeintlich Guten immer mehr. Es ist die Rede von „man sei mit der Geduld am Ende“, „es reicht“ und „Ihr seid schuld!“, als könnte man einer Minderheit die gesamte Last der Pandemie auf die Schultern legen. Dass soviel Hass, wie er auch zuletzt quotenreich in den Tagesthemen propagiert wurde, irgendwann zu Gegenhass führt, wird als Beweis dafür angesehen, dass doch alle Kritiker Schwere Schuld auf sich laden.

Derweil malt ein erstes Geschäft „Ungeimpfte unerwünscht“ in weißer Farbe auf seine Schaufenster und bekommt dafür, neben berechtigter Kritik (inzwischen ist die Schrift auch entfernt worden) ernsthaften Zuspruch von genau den Menschen, welche sonst mit erhobenem Zeigefinger alles anmahnen, was in irgendeiner Art und Weise den aufkommenden Gesundheitsfaschismus der frühen 20er Jahre des 21. Jahrhunderts anprangert. Dabei projizieren sie ihre eigene Unsicherheit und verzweifelte Ahnungslosigkeit in die Menschen, welche zumindest versuchen, in dieser kritischen Zeit nicht den Blick für das Wesentliche zu verlieren: Dass wir nur wissen, dass wir nichts wissen und dass wissenschaftliche Erkenntnisse auch nicht „die eine Wahrheit“ bedeuten. Wissenschaft ist Diskurs und nur weil eine laute Mehrheit dafür ist, muss sie nicht richtig sein. Man denke nur an die Eugenik, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vergleichbar als das Nonplusultra galt und an die wir mit großem Schrecken zurückdenken.

Gleichzeitig gibt es auf der anderen Seite genügend Menschen, welche mit den krudesten, wildesten Theorien das Bild der „Querdenker“ prägen. Gezielt platzierte Falschinformationen wie die Behauptungen, dass auf Demonstrationen aus den Gullideckeln von Spezialkommandos geimpft werden soll oder dass in Wasserwerfern flüssiges Pfizer verspritzt werden soll, machen auch hier verunsicherte Menschen wuschig und werden tausendfach geteilt. Zumindest wird der „nach der Impfung besserer Handy-Empfang“-Gag inzwischen nur noch von Impffans gemacht.

Doch wie kommen wir aus der ganzen Sache raus? Wie können wir, als Gesellschaft, unseren Beitrag leisten, um diesen kollektiven Irrsinn wieder einzudämmen und den ersten Schritt für einen Neuanfang leisten? Die Fronten sind verhärteter als der Rücken einer Pflegekraft nach einer kurzen Schlafpause im Ruheraum und viele Menschen verweigern den Diskurs, der doch so wichtig wäre.

Als Satire-Account war und ist es mein Ziel, die unzähligen Widersprüche in dieser Pandemie aufzuzeigen und schonungslos offen zu legen. Auch ich habe nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen – das maße ich mir auch überhaupt nicht an, es gibt genügend klügere Menschen auf der Welt. Doch bemühe ich mich stets, sachlich und höflich zu bleiben. Plumpe Beleidigungen haben wir zur Genüge, auch wenn einen manchmal die unqualifizierten Aussagen eines Karl Lauterbach durchaus zur Weißglut treiben können. Dann heißt es durchatmen, reflektieren und den einen oder anderen Text auf später verschieben. So, und nur so, können wir es schaffen, die Contenance zu behalten und damit das aufzuhalten, was uns momentan droht: Der Zusammenbruch des Zusammenlebens, wie wir es bis März 2020 kannten. Lassen Sie es nicht soweit kommen.

Ihr
@drlockdownviehler

Veröffentlicht von Dr. Lockdown Viehler

Experte. Tierarzt. Persönlicher Blog.

3 Kommentare zu „Verbales Abrüsten

  1. Irgendwie kommt mir dieses Geschäft bekannt vor. Wäre es möglich, dass das Bild in Bamberg oder Nürnberg entstanden ist? Würde mich ÜBERHAUPT nicht verwundern.

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